Wir sammeln Herzenswünsche

Das Caritas-Haus „Maria Regina“ in Miltenberg geht höchst individuell auf Bewohner ein. Auch nur in den nächsten Ort zu kommen, etwa nach Bürgstadt, ist für die Bewohner des Caritas-Hauses „Maria Regina“ in Miltenberg gar nicht so einfach. Viele können kaum laufen. Geraldine Aulenbach zum Beispiel.

„Mir geht es eigentlich ganz gut, doch ich habe solches Rheuma“, sagt die 87-Jährige. Dennoch unternahm Aulenbach soeben einen wunderschönen Herbstausflug an den Main. Möglich wurde dies durch die E-Bike-Rikscha, die das Heim seit dem Frühjahr besitzt.

 

Matthias Schiller, seit März 2017 Leiter der Pflegeeinrichtung, radelte Geraldine Aulenbach höchstpersönlich an den Fluss. Doch sie und die anderen Bewohner sind keineswegs darauf angewiesen, dass der Chef des Hauses sich ein Stündchen freischaufeln kann, um Rikscha-Ausfahrten zu unternehmen. Auch Angehörige und Ehrenamtliche können das in dänischem Design gestaltete Gefährt ausleihen. Eine schriftliche Einweisung klärt in aller Kürze darüber auf, worauf man beim Rikscha-Radeln achten muss. So sollten es die Piloten vermeiden, Bordsteine rauf- und runterzufahren. Denn das tut dem Gefährt nicht gut.

Dass Bewohnern individuelle Wünsche erfüllt werden, macht die Qualität eines Pflegeheims aus. Im Haus „Maria Regina“ wird großen Wert auf das Wohlbefinden der Senioren gelegt. Das Rikscha-Projekt ist keineswegs die einzige Maßnahme, die zu einem Plus an Lebensfreude beiträgt. Seit etwas mehr als einem Jahr werden auch „Herzenswünsche“ der Bewohner erfüllt. Vier Mal gelang dies inzwischen schon. Geraldine Aulenbach rückte vor kurzem als fünfte Bewohnerin mit einem Herzensanliegen heraus: Sie würde so gerne noch einmal das Würzburger Kloster Himmelspforten sehen.

Aulenbach ist eine sogenannte „Dobrudschadeutsche“. 1931 kam sie in Tariverde im südrumänischen Kreis Constanza zur Welt. Zwischen 1940 und 1943 zogen fast tausend Menschen aus Tariverde weg. „Wir wurden ‚Heim ins Reich’ geholt“, erzählt die Seniorin. Ihre Eltern gingen bereits 1940. Neun Jahre war Aulenbach damals alt. Sie sieht sich heute noch auf der Treppe des Bauernhofs in Tariverde sitzen und bitterlich weinen. Die geliebte Katze im Arm. Die wollte sie unbedingt mitnehmen. Doch die Erwachsenen nahmen ihre Bitte nicht weiter ernst: „In Deutschland gibt es genauso schöne Katzen!“ Als wäre das ein Trost.

Die Familie Aulenbach kam nach der Umsiedlung ins Miltenberger Lager, wo sie auf die Einbürgerung wartete. Die kleine Geraldine allerdings verbrachte einen großen Teil dieser Zeit zusammen mit ihrer drei Jahre jüngeren Schwester im Kloster Himmelspforten. Hier befand sich ein Lazarett. Die beiden Mädchen mussten dorthin, weil im August 1942 bei einer Reihenuntersuchung festgestellt wurde, dass beide eine von Bakterien verursachte, eitrige Binde- und Hornhautentzündung hatten. „Wir waren monatelang im Kloster“, erinnert sich die Seniorin.

Am Anfang weinte die Elfjährige viel: Mitten im Krieg so weit weg von Mama und Papa zu sein! Papa konnte wenigstens an einem Tag in der Woche den Weg von Miltenberg nach Würzburg zurücklegen und zu Besuch kommen. Geraldines Mama war das nicht möglich. Kurz zuvor war ein Brüderchen zur Welt gekommen. Das musste gestillt werden.

Das augenkranke Kind fand jedoch bald Zuflucht, Trost und Unterstützung: „Ich lernte die Gartenschwester kennen, ihr durfte ich helfen, was immer es zu tun gab.“ Geraldine konnte sich ja innerhalb des Klostergeländes frei bewegen. Nur die Augen waren infiziert. Sonst ging es ihr gut. Die Gartenschwester wird Aulenbach nie vergessen. Manchmal schlüpfte sie abends noch zu den Mädchen hinein und brachte ein paar Früchte vorbei: „Sie war in dieser Zeit wie eine Mutter für mich gewesen.“

Inzwischen ist klar, dass Geraldine Aulenbach in allernächster Zeit in ihre Vergangenheit reisen kann. Sowie ihr Wunsch in der hauseigenen Zeitschrift „Schaukelstuhl“ veröffentlicht wurde, meldeten sich gleich zwei Freiwillige, die der Seniorin den Tagesausflug nach Würzburg schenken möchten. Noch steht das Datum nicht fest, doch die Heimbewohnerin freut sich schon sehr auf das Erlebnis, das vor ihr liegt.

Die Wünsche, die bisher erfüllt wurden, könnten unterschiedlicher nicht sein. Alles begann mit Miltenbergs Altbürgermeister Anton Vogel, einem leidenschaftlichen Orgelfan. Als der erfuhr, dass Matthias Schiller aus Hardheim stammt, bekannte er, dass er so gerne einmal die Orgel in der Hardheimer Kirche spielen würde. Schiller erfüllte ihm diesen Wunsch mit Freude.

Matthias Tetz’ Wunsch erfüllte sich vor ziemlich genau einem Jahr. Sein großes Ziel lautete: Einmal seinen Urenkel Nevio, der in der U 13-Mannschaft des 1. FC Nürnberg kickt, bei einem Spiel in Nürnberg anfeuern zu können. Doch wie sollte er das möglich machen? Kaum war der Wunsch geäußert, fanden sich zwei Mitarbeiterinnen, die nur zu gern bereit waren, Matthias Tetz einmal zu einem Spiel nach Nürnberg zu begleiten.

Das Ehepaar Ilse und Bruno Mechler kam durch die Aktion „Herzenswünsche“ ins Kloster Seligenstadt bei Aschaffenburg, wo sie die Blumenpracht im Klostergarten bewunderten. Karl-Heinz Schmidt schließlich durfte sich seinen Traum erfüllen, einmal den Frankfurter Flughafen kennen zu lernen. Alexandra Krieger und Nadja Dietrich, zwei Mitarbeiterinnen des Hauses, schenkten dem Senior kürzlich einen überaus erlebnisreichen Tag.