… die Caritas setzt sich ein …

Einblicke ins Haus Maria Regina vom 19.04.2021 trotz Corona-Besuchsbeschränkung:

Die Pflege muss attraktiver werden. Deshalb setzt sich die Caritas für faire Arbeitsbedingungen und bessere Löhne ein.

Nach dem Lesen werden Sie vieles besser verstehen:

Da in der Presse und auch im Fernsehen teilweise nur einseitige Informationen gegeben werden, hier ausführliche Informationen zum“ NEIN“ der Caritas zu einem allgemein verbindlichen Tarifvertrag. (Quelle caritas.de)

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Bessere Arbeitsbedingungen für alle Beschäftigte in  der Altenpflege schafft nur die Politik gemeinsam, nicht die Caritas allein“, findet Norbert Altmann. Er vertritt die Dienstgeber der Caritas. In der Arbeitsrechtlichen Kommission gab es nicht die nötige Mehrheit, dass der Tarifvertrag Altenpflege für allgemeinverbindlich erklärt wird.

Verhindern Sie mit Ihrer Entscheidung höhere Löhne in der Altenpflege? Gönnt die Kirche anderen Beschäftigten keine höheren Löhne?

Nein. Wir zahlen seit Jahren bereits die höchsten Löhne in der Altenhilfe und seit 2009 kümmern wir uns in der Pflegekommission darum, dass alle Beschäftigten in der Altenpflege höhere Löhne bekommen. Nicht umsonst liegt der Mindestlohn einer ungelernten Pflegehilfskraft ab September bei 12 Euro. Nur zum Vergleich: Der allgemeine gesetzliche Mindestlohn auch für gelernte Kräfte liegt dann bei 9,60 Euro. Wir haben zudem dafür gesorgt, dass es einen Mindestlohn für einjährig ausgebildete Pflegehelfer und für Pflegefachkräfte gibt. Von Verhinderung kann also keine Rede sein.

Warum haben Sie der Allgemeinverbindlicherklärung des Tarifvertrages Altenpflege von BVAP und verdi nicht zugestimmt?

Wir haben uns nicht um diese Entscheidung beworben. Diese Rolle hat uns die Politik zugeschrieben. Wir wollten nie in diese Rolle kommen. Die Politik hat uns vor die Wahl gestellt und wir haben uns die Entscheidung nicht leicht gemacht. Wir können aber weder in Detailfragen noch in grundsätzlichen Fragen diesem Tarifvertrag unsere Zustimmung erteilen.

Zu den Detailfragen: Der Tarifvertrag schreibt lediglich die Ergebnisse der Pflegekommission fort. Eine betriebliche Altersvorsorge, passgenaue Arbeitszeitmodelle oder Überstundenzuschläge sucht man darin vergeblich.

Zu den Grundsatzfragen: Die Arbeitsvertragsrichtlinien der Caritas sind für die Beschäftigten deutlich lukrativer als der Tarifvertrag Altenpflege. Das heißt, für die Kostenträger sind die AVR der Caritas teurer. Wir sehen die Gefahr, dass die Kostenträger sich künftig am Tarifvertrag Altenpflege als Norm orientieren und unsere höheren Kosten nicht mehr refinanzieren werden.

Ist diese Haltung nicht sehr eigensinnig? Sie verwehren damit den anderen Beschäftigten höhere Löhne.

Diese Frage müssen Sie an die Politik richten. Es gibt andere Wege, um zu einer höheren Tarifbindung und zu höheren Löhnen zu kommen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat einen Weg aufgezeigt. Er schlägt vor, nur noch Leistungserbringer mit Tarifbindung oder Tarif ähnlichen Vertragswerken zuzulassen. Das würde nicht nur zu einem Wettbewerb der Tarifverträge führen, sondern auch regionale Differenzierungen ermöglichen.

Mit Ihrer Haltung stehen Sie aber ziemlich alleine da. Höhere Löhne sind eine zentrale Forderung der Politik.

Ja, das sind sie. Aber die Pflegebeschäftigten fordern vor allem bessere Arbeitsbedingungen. Mehr Kolleginnen und Kollegen und passgenaue Arbeitszeitmodelle liegen in deren Priorität vor oder gleichauf mit höheren Löhnen. Das wird Geld kosten und die Frage des Geldes im System der Pflegeversicherung kann nur die Politik lösen. Da gibt es von der Politik bisher keine Antworten. Wir stehen mit unserer Kritik an dem Weg der Allgemeinverbindlichkeit nicht allein. Die Kolleginnen und Kollegen der Dienstgeber der Diakonie sind auch nicht gerade glücklich. Und zahlreiche andere Trägerverbände scheinen auch mehr als skeptisch zu sein, denn sonst wären sie doch längst dem BVAP beigetreten. Die BDA sieht wie auch Teile der Wirtschaftswissenschaft die Tarifautonomie gefährdet, der Verband der kommunalen Arbeitgeber befürchtet durch diesen Tarifvertrag größere Verwerfungen auch in ihrer Tarifstruktur und Arbeitsrechtler warnen davor, dass der Dritte Weg dadurch grundsätzlich in Frage gestellt wird. Da können wir doch nicht einfach sagen, das interessiert uns alles nicht – Augen zu und durch. Das wäre fahrlässig, zumal es andere Lösungswege gibt.

Fühlen Sie sich von der Politik allein gelassen?

Das würde ich nicht sagen. Denn mit der Konzertierten Aktion Pflege hat die Politik doch bewiesen, dass sie sich um die Altenpflege kümmern will. Der BVAP hat sich vielleicht zu sehr darauf verlassen, dass wir einfach Ja und Amen sagen und nicht unser gesetzlich verbrieftes Recht wahrnehmen, zuzustimmen oder abzulehnen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass im Bundesarbeitsministerium die Absicht bestand, den Kirchen die Rolle des „Vogel friss oder stirb“ zuzuschreiben. Kluge Politik hat sicher für Fälle der Ablehnung vorgebaut. Deshalb bin ich sicher, dass der Bundesarbeitsminister zusammen mit dem Bundesgesundheitsminister einen neuen Weg geht.

Der schwarze Peter liegt auf jeden Fall bei Ihnen.

Für solche Spielchen ist die Frage der Arbeitsbedingungen in der Pflege viel zu ernst. Das wissen alle Beteiligten. Deswegen hoffe ich, wenn sich die erste Empörung gelegt hat, dass man unsere Bedenken ernst nimmt und mit uns gemeinsam Lösungen sucht. In einem Einheitstarifvertrag sehen wir solch eine Lösung nicht.

Hätten Sie Ihre Bedenken gegen diesen Weg nicht schon sehr viel früher anmelden können?

Die warnenden Stimmen gab es schon von verschiedenen Seiten im Gesetzgebungsverfahren. Wir kirchlichen Dienstgeber wollten und wollen uns Lösungen nicht verschließen. Damals kannten wir weder das Ergebnis des Tarifvertrags noch konnten wir uns vorstellen, dass es sich dabei um die bloße Fortschreibung der Ergebnisse der Pflegekommission handelt. Das ist uns, neben all den grundsätzlichen Bedenken, einfach zu wenig.

Höhere Löhne sind über die Pflegekommission doch nicht möglich.

Dem möchte ich deutlich widersprechen. Seit 2009 zeigen wir, dass darüber höhere Löhne möglich sind. Mit der Einführung eines Mindestlohns für Pflegehilfskräfte mit einjähriger Ausbildung sowie für Pflegefachkräfte und der Angleichung von Ost- und Westlöhnen hat die Pflegekommission bewiesen, dass sie handlungsfähig ist und einen Ausgleich zwischen unterschiedlichen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen finden kann.

Wie wollen Sie denn den Fachkräftemangel in der Pflege ohne höhere Löhne beheben?

Seit ein paar Jahren sorgt auch der Fachkräftemangel für deutlich steigende Löhne. Sie stiegen im Schnitt um fast fünf Prozent jährlich und damit doppelt so stark wie in allen anderen Branchen. Im Median verdiente eine Pflegefachkraft 2019 3.032 Euro. Bei der Caritas im Mittel 3.400 Euro. Die Caritas trägt schon heute zu höheren Löhnen bei, was unser aktueller Tarifbeschluss erneut zeigt. Pflegekräfte wollen aber zu Recht mehr.

Machen Sie mit Ihrer Verweigerungshaltung nicht das Geschäft der privaten Anbieter?

Nein. Diese Rolle nehmen wir nicht an. Das Arbeitnehmerentsendegesetz überlässt uns eindeutig die Wahl, ob wir zustimmen oder ablehnen. Wenn die Politik andere Anbieter zu höheren Löhnen und zu mehr Tarifbindung bringen will, dann gibt es andere Wege.

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